Aggression bei Papageien - NatÜrliche oder unnatÜrliche Verhaltensweise?
Von Ina Emser-Rinck und Dagmar Heidebluth
[Aggression] ist ein biologisch in Tieren und Menschen verankertes Verhaltensmuster zur Verteidigung oder Gewinnung von Ressourcen und zur Bewältigung potenziell gefährlicher Situationen. (Quelle: Wikipedia)
Aggressionen werden durch entsprechende Reize aus der Umwelt ausgelöst
Selbstverständlich trifft das auch auf Papageien zu. In der Natur werden Aggressionen jedoch in der Regel so ausgetragen, dass keiner der beiden Kontrahenten dabei schwere Verletzungen davonträgt. Man begnügt sich zumeist mit Lautäußerungen, Körpersprache und Scheinangriffen. Dabei geht es um Erwerb oder Verteidigung von Ressourcen wie Territorium, Partner, Futter, usw., und es gewinnt derjenige, der die besseren "Argumente" hat, die mit vielen Signalen unterhalb des Beißens kommuniziert werden. Niemals geht es jedoch darum, dass ein Tier ein anderes "dominieren" will im Sinne von Einnahme einer überlegenen Rangposition.
Welche Hauptgründe gibt es, dass Papageien in Gefangenschaftshaltung Menschen beißen?
Kranke Tiere: beißen mitunter, weil sie Schmerzen haben, weil sie in Ruhe gelassen werden möchten, weil Berührungen an bestimmten Stellen Schmerz verursachen, usw. Solche Tiere gehören zweifellos in tierärztliche Behandlung.
Bei gesunden Papageien kommen folgende Hauptgründe für das Beißen in Frage:
Spiel: Papageien untersuchen alles mit ihrem Schnabel, auch Körperteile von Menschen und dabei können sie durchaus zu grob für die empfindliche menschliche Haut werden. Kein krankhaftes, sondern ein normales Verhalten.
Territorial bedingte Aggression: Papageien verteidigen instinktiv ihr Territorium gegen Eindringlinge, in der Natur und auch in Gefangenschaft, speziell dann, wenn sie brüten wollen oder wenn sie Junge aufziehen. Kein krankhaftes, sondern ein normales Verhalten.
Angst-Aggression: Ein instinktives Verhalten, das eng mit dem Überleben verknüpft ist. Normalerweise flüchten Papageien vor Menschen und Tieren, die ihnen Angst machen. Haben sie jedoch keine Fluchtmöglichkeit, weil sie im Käfig sind, bleibt ihnen nur das Beißen, wenn sie bedrängt werden. Kein krankhaftes, sondern ein normales Verhalten.
Ein Beispiel für Angst-Aggression zeigt das folgende Video. Der Vogel sitzt in der Käfigecke ohne Fluchtmöglichkeit. Der Halter nähert sich mit der Hand, der Vogel weicht zurück, öffnet kurz den Schnabel, hebt den Fuß. Der Halter reagiert auf keins dieser Signale. Also geift der Papagei zum letzten Mittel, um die Hand zu entfernen, er beißt.
Erlernte Aggression: Papageien können lernen, dass beißen nützlich ist, um etwas Unerwünschtes zu beseitigen oder etwas Erwünschtes zu erlangen, z. B. nicht in den Käfig gesetzt zu werden, nicht angefasst zu werden, etwas von dem leckeren Essen, das der Mensch gerade verspeist, abzubekommen, u.v.m. Vögel lernen sehr schnell, hat ihr Biss einmal Erfolg gebracht, versuchen sie es wieder und schon haben sie gelernt, dass Beißen ein wirkungsvolles Mittel der Kommunikation mit Menschen ist. Kein krankhaftes, sondern ein für den Papageien nützliches erlerntes Verhalten.
Der weltweit bekannte Tiertrainer und Berater Steve Martin geht in seinem Artikel "Beißen ist nicht Papageienart" ausführlich auf das Thema Beißen ein. Diesen Artikel finden Sie hier (PDF-Datei).
Angstaggression oder erlernte Aggression?
Welche Formen aggressiven Verhaltens von Papageien gibt es?
Achtung: Lantermanns Auffassungen entsprechen zum Teil nicht mehr dem heutigen Kenntnisstand, siehe weiter unten.
Laut Werner Lantermann gibt es vier Formen von aggressiven Verhalten (Quelle: Buch "Verhaltensstörungen bei Papageien" von Werner Lantermann, Verlag Enke, 1998):
1. Artspezifisches Aggressionsverhalten Diese Form der Aggression umfasst wichtige Verhaltensabläufe im normalen Verhaltensrepertoire, wie etwa die Verteidigung von Revier, Nistplatz, Futter oder des Partners, wobei es oft nur zu einem Droh- und Imponiergehabe kommt. Bei in Gefangenschaft gehaltenen Papageienpaaren kann dies dazu führen, dass mit dem Einsetzen der Brutzeit vor allem die Männchen gegenüber anderen Männchen, aber auch gegenüber dem Pfleger aggressiv werden. Dazu gehören zum Beispiel:
Kakadu-Männchen töten ihre Weibchen: Manchmal richtet sich die Aggression auch gegen Weibchen, die dann durch Demutsgesten zu beschwichtigen versuchen. Bei Kakadumännchen scheinen diese Demutsgesten oft nicht zu wirken. Besonders bei Gelbhauben- und Molukkenkakadus kommt es oft vor, dass sie ihre Weibchen in diesen aggressiven Phasen töten. Oft ist die Brutstimmung (wahrscheinlich bedingt durch die unnatürliche Lebensweise) der Kakadupartner nicht synchron, das Männchen kommt meist schon früher in Brutstimmung und hetzt dann sein Weibchen – mitunter zu Tode. Hier ist größte Vorsicht geboten. Sobald vom Halter aggressive Tendenzen bei Kakadus festgestellt werden, müssen die Tiere – zumindest kurzfristig – getrennt werden, da das Weibchen ernsthaft in Gefahr ist. Die gilt genauso für Pärchen, die seit mehreren Jahren harmonisch zusammenleben oder sogar schon gebrütet haben. Schon ein gezielter Schnabelhieb genügt, um den Partner zu töten oder so schwer zu verletzen, dass er nur mehr von seinen Leiden erlöst werden kann (z.B. ausgerissene Schnäbel, ausgehackte Augen).
Schutzkleidung erforderlich: Amazonen (und hier v.a. die Männchen) attackieren ihre Pfleger besonders häufig, sodass die Voliere nur mehr mit Schutzkleidung betreten werden kann. Trotzdem haben wir es hier mit völlig normalem Verhalten zu tun, da es ja zur Verteidigung des Reviers und der Brut dient. Die Weibchen sind in der Regel viel weniger aggressiv, zumeist nur bei der eigentlichen Jungenaufzucht.
Festlegung der Rangordnung: Artspezifisches Aggressionsverhalten spielt auch bei der Festlegung einer Rangordnung eine bedeutende Rolle – und dies geschieht natürlich auch bei der Vergesellschaftung von zwei oder mehreren Vögeln. Meistens sind Rangordnungskämpfe ritualisiert, es wird gedroht, es kommt zu Scheinangriffen, Demutsgesten und zur Flucht des unterlegenen Tieres. Körperliche Schäden sind eher die Ausnahme und auf beengte Haltungsbedingungen zurückzuführen. Viele Vergesellschaftungen sind schon daran gescheitert, dass sich der Mensch in die Phase der Rangordnungsfestlegung eingemischt hat.