Ein Vitamin mit Sonderrolle
von Dr. Ingo Kober
Es gibt ein Vitamin, das für alle Landwirbeltiere lebenswichtig ist und dessen Verfügbarkeit bei Tieren, die ihr Leben innerhalb von Häusern verbringen nur dann gegeben ist, wenn der Halter sich aktiv darum kümmert.
Bei diesem kuriosen Stoff handelt es sich um nichts anderes als Vitamin D. Vitamin D ist ein Vitamin mit hormonartiger Wirkung und steuert neben anderen durchaus wichtigen Parametern bei Wirbeltieren vor allem den Kalziumstoffwechsel und das Immunsystem. Vitamin-D-Mangel verhindert dabei die Aufnahme und Verstoffwechselung von Kalzium und führt daher auf Dauer zu gravierenden Kalziummangelerscheinungen, von denen die unter dem Oberbegriff Rachitis zusammengefassten Knochen-Wachstumsstörungen und -erweichungen nur die äußerlich offensichtlichsten sind. Aber erst seit kurzem weiß man, dass Vitamin D auch für das Immunsystem überraschenderweise absolut unverzichtbar ist. Nur wenn es nicht im Mangel vorliegt, werden die Killer-Zellen der Körperabwehr so mobilisiert, so dass sie eindringende Viren oder Bakterien bekämpfen können.
Wie bei anderen Vitaminen ist auch die Aufnahme von Vitamin D oder Vitamin-D-Vorläufern über die Nahrung eine Möglichkeit, dieses Vitamin dem Stoffwechsel zuzuführen. Allerdings gibt es nur wenige Nahrungsbestandteile gerade von Papageien, die von Natur aus ausreichend reich an diesem Vitamin oder seinen ebenso wirksamen Vorläufern sind. Will man seine Tiere ausreichend mit Vitamin D versorgen, ist daher eine naheliegende Option dieses oder Vorläufer davon im Rahmen von Futterergänzungsmitteln zu reichen. Die meisten Nahrungsergänzungsmittel enthalten daher auch den Vitamin-D-Vorläufer Cholecalciferol (Vitamin D3).
Bei angepasster Dosierung können hiermit meist auch Vitamin-D-Mangelerscheinungen wirksam verhindert werden. Doch der Grat zwischen genug und gefährlich viel ist nicht allzu breit. Vitamin D gehört nämlich in die Klasse der fettlöslichen Vitamine, die unter anderem in der Leber gespeichert werden und sich dort anreichern. Da Vitamin D ebenso hochgiftig wie wirksam ist, ist eine vollständig ausreichende und gleichzeitig gefahrlose Dosierung schwierig, zumal die Effizienz der Aufnahme dieses Vitamins noch stark vom Gesundheitszustand des Tieres sowie der Darreichungsform des Supplementes abhängig ist. Nicht immer führt daher die Verabreichung von Vitamin-D-Vorläufern mit dem Futter allein zum gewünschten Erfolg.
Wie aber lösen die wildlebenden Artgenossen unserer Pfleglinge dieses offensichtliche Dilemma?
Nun, anders als andere Vitamine, kann Vitamin D unter bestimmten Umständen eben doch von fast jedem Landwirbeltierkörper (Katzen repräsentieren hier interessanterweise eine Ausnahme) selbst hergestellt werden. Diese Umstände verlangen die Bestrahlung der Hautoberflächen mit UV-B-Licht. In der Haut vorhandenes Provitamin D ( 7-Dehydrocholesterol) wird dabei in einer durch UV-B katalysierten Photoreaktion in die nächste Vorstufe, das Prävitamin D3 umgewandelt. In einer wärmeabhängigen Reaktion wird dieses wiederum in Vitamin D3 (Cholecalciferol) weiter umgesetzt. Das D3 wird dann mit dem Blutstrom in die Leber transportiert, wo es endgültig in Vitamin D umgewandelt wird.
Ohne UV-B-Bestrahlung ist die Photoreaktion nicht möglich und der Körper kann überhaupt kein Vitamin D synthetisieren. Nach dem bisher gesagten ist klar, dass unsere Pfleglinge im Haus nur dann eine Chance haben, Vitamin D körpereigen herzustellen, wenn das Licht, das auf sie trifft ihnen UV-B-Strahlung in ausreichender Intensität bietet, um die wichtige Photoreaktion ablaufen zu lassen. Des weiteren müssen auch Verhaltensweisen (Sonnenbaden) ausgelöst werden, die die Vögel veranlassen, das Gefieder so abzuspreizen, dass auch viel Licht an die Haut herankommt. Dazu sind vor allem naturnahe Lichtintensitäten und Wärmestrahlung wichtige Auslöser.
Wenn diese Prozesse durch geeignete Innenraumbeleuchtung in naturnaher Weise ermöglicht werden, stellt das bereits eine wirksame Rachitisprophylaxe dar und erlaubt dem Tier eine effiziente Aufnahme und Verstoffwechselung des mit der Nahrung gereichten Kalziums sowie die Aufrechterhaltung eines effizienten Immunstatus.
Für die beschrieben Photoreaktion ist nur ein relativ kleiner Frequenzbereich aus dem Spektrumsband des UV-B-Lichtes wirksam. Im Reagenzglas können nur Wellenlängen zwischen 294 und 305 nm diese Reaktion effizient ablaufen lassen. Bedingt durch das andere Umfeld in der Haut kann es sein, dass das Wirkspektrum am lebenden Tier artspezifisch etwas verschoben ist. Darüber liegen allerdings bisher bei Vögeln noch keine aussagekräftigen Forschungsergebnisse vor. Klar ist lediglich, dass UV-B-Lichtquellen, die keine intensiven Spektralanteile unterhalb von 315 nm haben, hier weitgehend unwirksam sind. Auch wichtig zu wissen ist, dass Fensterglas zwar UV-A weitgehend durchlässt, UV-B-Wellenlängen aber zu fast 100 % abblockt.
Das mittägliche Sonnenlicht in den Tropen liefert UV-B-Licht mit einer Energie von ca. 400µW pro Quadratmeter und dieser Wert mag als grober Anhaltspunkt bei der Bewertung von Leuchtmitteln mit UV-B-Anteil dienen.
Allerdings wäre es falsch, davon auszugehen, jeder Vogel brauche eine UV-B-Strahlungsintensität die dem genannten Wert entspricht. Schattenliebende, nacht- und dämmerungsaktive Arten, die nie im prallen Sonnenlicht sitzen, kommen mit deutlich geringeren Strahlungsintensitäten klar. Als Faustregel kann man daher getrost annehmen, dass Arten, die sich im Freiland intensiver Sonneneinstrahlung aussetzen, einen höheren UV-B-Bedarf haben, als solche, die das nicht tun.
Im Schatten und auch in den Ruheplätzen nachtaktiver Tiere kommt aber im Freiland immer noch eine nennenswerter Menge UV-B als Streulicht an und auch die sich vor allem dort aufhaltenden Tiere beherrschen die bekannte Photoreaktion. Daher sollte man auch ihnen in der Unterbringung eine UV-B-Quelle bieten, die allerdings schwächer ausfallen darf.
Umfangreiche Studien fehlen noch, aber als Faustregel mag gelten, dass aktiv sonnenbadenden Vögeln UV-B in einer maximalen Intensität von möglichst 200-300µW/m² am Sonnenplatz angeboten werden sollte. Bei Dämmerungsliebhabern darf die Intensität um etwa den Faktor zehn niedriger ausfallen. In jedem Fall sollte den Tieren aber die Möglichkeit gegeben werden, diesen Maximalwerten auch nach Belieben auszuweichen.
Mehrere Studien legen nahe, dass Wirbeltiere ein Gefühl für UV-B-Intensitäten haben. Durch genaue Beobachtung seiner Pfleglinge kann man daher auch einen guten Eindruck von der Qualität der eingesetzten UV-B-Beleuchtung gewinnen. Halten sich die Tiere sehr lange im Bereich des Strahlungsmaximums auf, erscheint eine Dosiserhöhung sinnvoll. Sonnen sich die Tiere relativ kurz dort, suchen den Platz aber mehrfach täglich auf, ist das ein gutes Zeichen. Meiden die Tiere das Strahlungsmaximum und bevorzugen den Randbereich des Strahlungskegels, ist die UV-B-Abgabe wahrscheinlich intensiver als von den Tieren bevorzugt. Da die reale Strahlungsintensität stark vom Abstand zur Lampe abhängt, kann man mit einer Variation des Bestrahlungsabstandes in Reaktion auf das beobachtete Verhalten der Tiere bereits erhebliche Optimierungsarbeit leisten, ohne immer wieder gleich das Leuchtmittel wechseln zu müssen.
Zwar kann zu intensive UV- Bestrahlung durchaus gesundheitliche Schäden bei den Tieren verursachen, eine Vitamin D Überdosierung kann dadurch jedoch nicht erzielt werden. Wird mehr Vitamin D3 in der Haut produziert als benötigt, wird es nicht mehr mit dem Blutstrom abtransportiert und bei weiterer UV-Bestrahlung ebenso wie das Prävitamin D3 photolytisch in unwirksame Produkte gespalten. Wenn die Tiere dem Strahlungskegel einer UV-B-Quelle ausweichen können, tun sie das in der Regel auch aktiv, nachdem sie eine ausreichende Strahlungsdosis "getankt" haben Bei der Anbringung intensiver UV-B-Quellen reicht daher theoretisch bereits eine solche Ausweichmöglichkeit, um eine übermäßige UV-B-Dosis zu vermeiden.
Nicht jede UV-B Quelle reizt übrigens jede Tierart zum aktiven UV-B tanken. Gerade sonnenliebende tagaktive Pfleglinge suchen zum Sonnen stets die hellste verfügbare punktförmige Lichtquelle auf. Im Freiland ist dies stets die Sonne und so können sie gleichzeitig mit Wärme auch UV-B tanken. Im Innenraum kann beides getrennt sein und der Vogel sonnt sich dann intensiv unter der kein UV-B abgebenden Sonnenlampe und gerät so trotz eigentlich ausreichender UV-B-Einstrahlung in eine Vitamin-D-Mangelsituation, da er sich kaum einmal im Wirkbereich der andernorts angebrachten UV-B-Röhre aufhält. Bei Verwendung solch einer Kombination ist es daher wichtig, darauf zu achten, dass die lichtarme UV-B-Quelle den gleichen Sonnenplatz bestrahlt, wie der helle Sonnenspot.
Die oben genannte UV-B-Maximalintensität erreicht das Sonnenlicht selbst in den Tropen nur über wenige Mittagsstunden. Morgens und Abends ist am Boden kaum UV-B nachweisbar. Außerhalb der Tropen schwankt der UV-B-Gehalt des Sonnenlichtes zusätzlich stark mit den Jahreszeiten.
Da Vitamin D im Körper recht stabil ist, muss auch keine dauernde Bestrahlung erfolgen, sondern die Tiere können gewissermaßen auf Vorrat Sonne tanken.
Während genaue Daten von Vögeln noch nicht vorliegen, wurde die Frage nach der nötigen Bestrahlungsdauer und -häufigkeit von der Humanmedizin schon umfassend untersucht. Demnach reicht in unseren Breiten im Hochsommer bereits ein fünfminütiges Sonnen an zwei bis drei Tagen der Woche aus, um den menschlichen Körper dauerhaft ausreichend mit Vitamin D zu versorgen. Dabei müssen sogar nur ca. 18 % der Hautoberfläche (z.B. Hände, Arme, Gesicht) der Sonne ausgesetzt werden. Wichtig ist dabei die Gesamtdosis: Je intensiver die UV-B-Bestrahlung, umso kürzer muss man sich ihr aussetzen, je schwächer, umso länger.
Es fällt auf, dass die für uns Menschen genannten Empfehlungen recht nahe an die empirisch gewonnenen Empfehlungen herankommen, die erfahrene Terrarianer zum Gebrauch einer der stärksten erhältlichen UV-B-Leuchtmittel, der Osram Ultravitalux zur UV-B-Versorgung bei Reptilien geben – für Vögel sollte die Situation sehr ähnlich sein. Bei deren Einsatz wurde schon oft beobachtet, dass eine Bestrahlung an wenigen Wochentagen über jeweils 15 - 40 Minuten deutlich positive Wirkung bei unter Vitamin-D-Mangelerscheinungen leidenden Reptilien hat, und dass diese Wirkung durch häufigere oder längere Bestrahlung nicht mehr zu steigern war.
In der Voliere müssen UV-B Leuchtmittel also nicht den ganzen Tag brennen, es sei denn, sie sind so schwach, dass sie eine physiologische Wirkung nur bei langer Bestrahlungsdauer erreichen. Dann ist aber nur schwer zu gewährleisten, dass sich die Pfleglinge auch lange genug im Strahlungsbereich aufhalten. Daher ist Leuchtmitteln mit intensiverer UV-B-Abgabe der Vorzug zu geben.
Auch heute noch bleibt hier aber noch viel Platz zum Ausprobieren und Erfahrungen sammeln, vor allem, da viele derzeit angebotene UV-B-Strahler noch nicht lange auf dem Markt erhältlich sind und somit Langzeiterfahrungen bisher fehlen. Für die Produkte mit nachweislich intensiverer UV-B-Abgabe, also solche, die um oder über ca. 150µW/m2 UV-B am Sonnenplatz erreichen können, reicht es aber sicher, sie nur über wenige Stunden am Tag brennen zu lassen.
Dämmerungs- und nachtaktive Vögel profitieren dagegen eher von der arttypisch bevorzugteren milderen UV-B-Bestrahlung schwächerer Leuchtmittel vor allem in der frühen Abendzeit zu Beginn ihrer Aktivitätsphase oder am ganz frühen Morgen. Sehr wahrscheinlich - und auch hier wieder ist auch noch viel Raum zum Ausprobieren und Erfahrungen sammeln - ist es für die meisten Pfleglinge zudem völlig ausreichend, wenn effektive UV-B-Strahler nur jeden zweiten Tag überhaupt zum Einsatz kommen.
Theoretisch ist, wie oben bereits angedacht, natürlich vorstellbar, dass man eine UV-B-Bestrahlung vollständig durch Gabe geeigneter Vitamin-D-Mengen mit der Nahrung ersetzen kann. Diesbezüglich gibt es jedoch durchaus unterschiedliche Erfahrungen und solche Gaben können möglicherweise für manche Pfleglinge die UV-B-Bestrahlung effizienter ersetzen als für andere. So lange hier keine Klarheit herrscht, ist es also in jedem Fall empfehlenswert, zu versuchen, seinen Pfleglingen eine naturähnliche Vitamin-D-Synthese mit Hilfe von UV-B-Licht zu ermöglichen.
Trotz aller UV-B Bestrahlung fällt es dennoch schwer, sicher zu sein, dass man seinen Pfleglingen allein damit eine ausreichende Vitamin-D-Synthese ermöglicht. In der Praxis hat es sich daher bewährt vorzubeugen, indem man gezielt kleine Mengen Vitamin D3 als Nahrungsergänzung gibt. Rein ist dieser Stoff nicht ohne weiteres erhältlich, er ist jedoch wie bereits erwähnt in nahezu jedem Multivitamin-/Mineralpulver und auch jedem flüssigen Supplement für Vögel enthalten. Die Konzentration dort wird normalerweise in IE/ml oder g (bzw. englischsprachig in iU/ml oder g) angegeben.
Der Vitamin D Bedarf von Vögeln ist artabhängig und umweltabhängig durchaus unterschiedlich. Daher kann man keine allgemeingültige optimale Dosierung empfehlen, sondern lediglich einen groben Rahmen vorgeben. Die Grenze zu gefährlicher Überdosierung liegt je nach Tierart wohl bei einer Wochendosis zwischen ca. 100 und 500 IE/Kg Tier, für manche Arten offenbar sogar noch deutlich darüber.
Versorgt man seine Tiere durchdacht mit UV-B-Licht, kann man jedoch bereits mit recht geringen Vitamin-D-Gaben über das Futter eventuell immer noch suboptimale Bedingungen ausgleichen. Wahrscheinlich sind dabei auf 2 - 3 Gaben verteilte Wochendosen von 20 - 30 IE pro kg Tier ausreichend und nicht schädlich. Die Aufnahme von pulverigen Präparaten erfolgt vom Körper übrigens weit weniger effizient als die von Flüssigpräparaten. Außerdem ist für die effektive Aufnahme und Wirkung von Vitamin D3 die Menge an verfügbarem Vitamin A wichtig. Diese sollte für Vögel etwa zehnmal höher sein als die gereichte Vitamin-D-Menge.
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Mehr Informationen über geeignete Beleuchtung finden Sie im Artikel "Beleuchtung in der Vogelhaltung" von Dr. Ingo Kober und Manuela Becker hier (PDF-Datei).