Mit Papageien leben

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Das Stutzen von Papageien zu Therapiezwecken

Von Ina Emser-Rinck und Dagmar Heidebluth

Beißen ist Kommunikation

Wenn Papageien Menschen angreifen und beißen ist das eine sehr unangenehme und oft unerträgliche Situation für den Halter. Dem Halter ist es in der Regel gar nicht klar, dass der Papagei sein aggressives Verhalten bei und durch Menschen gelernt hat, weil sie seine Körpersprache nicht erkennen, bzw. sie ignorieren, sodass der Vogel zu seinem letzten Mittel, dem Beißen, greifen muss, um verstanden zu werden.

Beißen ist ein erlerntes Verhalten. Es ist dem Papagei nicht angeboren, Menschen anzugreifen und zu beißen. Beißen ist auch kein gestörtes, krankhaftes Verhalten, sondern ein Zeichen dafür, dass die Kommunikation zwischen Mensch und Tier nicht stimmt. Kommunikation ist keine Einbahnstraße, sondern ein gegenseitiges Geben und Nehmen.

Zitat aus Wikipedia, Artikel Kommunikation:
Kommunikation ist alltäglich und verläuft scheinbar selbstverständlich, sodass sie nicht weiter problematisch erscheint. Für die meisten Situationen reicht dies auch aus; es wäre zu aufwendig, die eigene Kommunikation ständig zu hinterfragen. Erst bei Missverständnissen und Misserfolgen, die mit Kommunikation in Zusammenhang gebracht werden können, wird Kommunikation problematisiert.

Wir haben ein Kommunikationsproblem, wenn der Papagei aggressive Verhaltensweisen zeigt. Der Vogel benötigt keine "Therapie", er benötigt einen Halter, der über Verhalten und Lernen Bescheid weiß. Der Halter benötigt fachkundige Anleitung, wie er sich dem Papagei gegenüber zu verhalten hat und wie er dem Papagei vermitteln kann, sich "familienverträglich" zu verhalten. Dafür, dass dieser Weg zum Erfolg führt, gibt es zahllose Beispiele.

Entwicklung der Papageienhaltung

In den letzten Jahrzehnten hat sich die Papageienhaltung sehr zum Wohle der Tiere weiterentwickelt, viele wissenschaftliche Erkenntnisse und technisches Know-how fließen in die Gestaltung der Unterbringungen sowie in die Ernährung und Beschäftigung der Vögel ein. Auch die ethischen und humanen Methoden des modernen Tiertrainings (Clickertraining, Training mit positiver Verstärkung) finden immer mehr Einzug in die private Vogelhaltung. Die Zeiten, zu denen es normal war, Papageien allein in kleine Rundkäfige einzusperren oder angekettet auf einem Ständer zu halten, sind zum Glück vorbei. Auch das Beschneiden der Schwungfedern ist heutzutage nicht mehr üblich, da man weiß, dass es der Gesundheit und dem Wohlbefinden der Papageien abträglich ist.

Flügel stutzen als Therapie?

Umso mehr erstaunt es, dass eine Therapie gegen Aggressivität von Papageien gegenüber Menschen und Artgenossen angeboten wird, die u.a. das Stutzen der Flügel beinhaltet. Dabei soll das Tier von einem Tierarzt beidseitig so beschnitten werden, dass es noch etwas fliegen kann und die Federn beim nächsten Gefiederwechsel wieder nachwachsen. Begründet wird die Maßnahme des Stutzens damit, dass Vögel, die dem Menschen gegenüber aggressiv werden und beißen, verhaltensgestört seien und Dominanzaggression zeigen würden. Durch das Stutzen in Verbindung mit nicht näher beschriebenen Therapiemaßnahmen würden sie in kürzester Zeit wieder zu umgänglichen Vögeln und blieben es auch, wenn die Federn nachgewachsen wären.

Das Stutzen der Flügel ist ein Eingriff in die Persönlichkeit eines Vogels, der ihn in seinen natürlichen Verhaltensweisen behindert. Dies für Therapiezwecke gegen Aggression bei Vögeln einzusetzen, ist mehr als fragwürdig.

Aggressives Verhalten wird von einigen Papageienhaltern leicht als Versuch des Papageien, Dominanz aufzubauen, fehlinterpretiert. In der Natur handelt es sich bei aggressiven Verhaltensmustern um normale und durchaus sinnvolle Strategien z. B. zur Nest- und Ressourcenverteidigung, aber es geht dabei nie darum, andere dominieren zu wollen.
Siehe Artikel Aggression bei Papageien) und Beißen? Ist nicht Papageienart (PDF).

Schauen wir uns das Stutzen als Therapiemaßnahme näher an:

Wenn ein Papageienhalter die Dominanztheorie glaubt, weil er davon in veralteter oder schlecht recherchierter Literatur oder im Internet gelesen hat, mag dies entschuldbar sein.

Wenn jedoch jemand, der andere gegen Entgelt berät, ein solches durch nichts belegbares Gedankengebäude propagiert und auf solcher Basis eine "Therapie" anbietet, halte ich das schlicht und einfach für fahrlässig. Dann wundert es auch kaum noch, wenn der Papagei zusätzlich zur Therapie durch Stutzen gefügig gemacht werden soll. Entweder hat jemand das nötige Wissen, um auch in schwierigen Fällen mit für das Tier positiven Mitteln arbeiten zu können oder eben nicht und muss zu solch aversiven Mitteln wie Flügelstutzen greifen.

Die moderne Papageien-Verhaltensberatung basiert ebenso wie das moderne professionelle Tiertraining auf dem anerkannten wissenschaftlichen Verfahren der Angewandten Verhaltensanalyse (Applied Bahavior Analysis) in Verbindung mit der Verhaltensbiologie. Das Gute daran ist, dass mit Mitteln gearbeitet wird, die für das Tier positiv sind. Es gibt keine Strafen im herkömmlichen Sinne (siehe Anmerkung), keine für das Tier aversiven Mittel, geschweige denn Maßnahmen, die die körperliche Unversehrtheit des Tiers beschädigen. Es ist partnerschaftliche Arbeit mit dem Tier mit dem Ziel, ein beiderseits vertrauensvolles Verhältnis zu schaffen. Dies bedeutet natürlich, dass Mensch und Tier miteinander arbeiten müssen, um gewünschte Erfolge verzeichnen zu können.

Anmerkung: Mit Strafen im herkömmlichen Sinne meinen wir z. B. das Zudecken des Käfigs oder das Naßspritzen mit der Blumenspritze, weil der Vogel schreit; den Vogel einsperren, weil er gebissen hat; ein Tier mit Gegenständen bewerfen oder schlagen. Es gibt beim Training auf Basis von ABA auch milde Formen der Bestrafung, auf die wir an dieser Stelle jedoch nicht näher eingehen können. Leseempfehlung: Bestrafung: Fakten und Hintergründe

Stutzen:
Stellungnahme der TVT und Gesetz

Gemäß Tierärztlicher Vereinigung für Tierschutz – TVT, Merkblatt 114 (PDF-Datei zum Download) ist Stutzen ohne vernünftigen Grund strikt abzulehnen. Sie begründen dies unter "Methode 3" damit,

  • dass es zu Verhaltensstörungen kommen kann, z. B. Federbeißen, Federrupfen, Automutilation
  • dass es zu Stürzen kommen kann (Frakturen)
  • dass es das Putzverhalten irritieren kann

Der abschließende Satz des Merkblattes:
"Es ist kein vernünftiger Grund dafür erkennbar, einen Vogel an seiner artgemäßen Fortbewegungsart - dem Fliegen - zu hindern."

Deutsches Tierschutzgesetz:
(Vollständiges Gesetz unter
www.gesetze-im-internet.de/tierschg/BJNR012770972.html)

§ 1
[...] Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.

§ 2 
Wer ein Tier hält, betreut oder zu betreuen hat,

1. muss das Tier seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen ernähren, pflegen und verhaltensgerecht unterbringen,
2. darf die Möglichkeit des Tieres zu artgemäßer Bewegung nicht so einschränken, dass ihm Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden,
3. muss über die für eine angemessene Ernährung, Pflege und verhaltensgerechte Unterbringung des Tieres erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen.

§ 6
(1) Verboten ist das vollständige oder teilweise Amputieren von Körperteilen oder das vollständige oder teilweise Entnehmen oder Zerstören von Organen oder Geweben eines Wirbeltieres. [...] 

Definitionen

[1] Definition für Therapie von Wikipedia:
Die Therapie (altgriechisch therapeia „Dienst, Pflege, Heilung“) bezeichnet in der Medizin, Zahnmedizin und Psychotherapie die Maßnahmen zum Behandeln von Behinderungen, Krankheiten und Verletzungen aufgrund einer zuvor erlangten Diagnose. Ziel des Therapeuten ist die Ermöglichung oder Beschleunigung einer Heilung, die Beseitigung oder Linderung der Symptome und die Wiederherstellung der körperlichen oder psychischen Funktion.
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[2] Definition für agonistisches Verhalten von Wikipedia:
Als agonistisches Verhalten (agonistis = der Handelnde, Tätige), auch Agonismus, wird in der Verhaltensbiologie die Gesamtheit aller Verhaltensweisen bezeichnet, "die mit Rivalität, Wettbewerb und Konkurrenz verbunden sind". Sie umfassen nicht nur den mit Gewalt verbundenen Angriff (Aggressivität), sondern alle Verhaltensweisen, die bei Auseinandersetzungen zwischen Widersachern auftreten – also auch die des Verteidigens, des Beharrens, des Zurückweichens beziehungsweise der Flucht.

Weitere Elemente des agonistischen Verhaltens sind unter anderem Imponierverhalten und Drohen sowie Unterwerfen, wobei für letzteres die Beschwichtigungssignale beim Hund das bekannteste Beispiel sind. Auch die sogenannten Übersprungbewegungen können zu den agonistischen Verhaltensweisen gehören. Agonistisches Verhalten umfasst demnach "die Gesamtheit aller mit der Auseinandersetzung zwischen Individuen in Zusammenhang stehenden Verhaltensweisen".
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[3] Definition für Dominanz (Biologie) von Wikipedia:
Dominanz-Hierarchien sind bei vielen Tieren einschließlich der Primaten und auch beim Menschen zu finden. Individuum A schränkt die Rechte und Freiheiten von Individuum B ein und gesteht sich selber diese Rechte und Freiheiten zu, was von B akzeptiert wird. Dominanz ist immer beziehungsspezifisch und ist zeit- und situationsabhängig.
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