Mit Papageien leben

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Alternativen zum Aviator

Oder: Was können wir dem Papagei Gutes tun, ohne ihn an die Leine zu legen?

Ein Hinweis vorab: Wenn nachstehend "der Vogel" in der Einzahl genannt wird, heißt das nicht, dass hier für Einzelhaltung plädiert wird. Abgesehen davon, dass die Einzelhaltung von Papageien tierschutzwidrig ist, benötigen Papageien immer den Kontakt zu Artgenossen. Ein Mensch kann niemals den artgleichen Vogelpartner ersetzen.

Die TVT (Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz) hat die Merkblätter Nr. 62 (Tierschutzwidriges Zubehör in der Heimtierhaltung) und Nr. 114 (Flugunfähigmachen von Papageienvögeln) herausgegeben, die beide aussagen, dass Brustgeschirre, Leinen, Papageien-Harness etc. die artgemäße Bewegung einschränken und somit als tierschutzwidrig eingestuft werden. Dies gilt selbstverständlich auch für den Aviator, wie die TVT in ihrer offiziellen Stellungnahme zu dem Fluggeschirr "Aviator" für Psittaziden bestätigt und näher erläutert. Die Stellungnahme kann hier heruntergeladen werden.

Wenn Sie schon unsere anderen Artikel zum Papageiengeschirr und Aviator gelesen haben, dann wissen Sie, dass auch die vermeintliche Sicherung mit Geschirr und Leine auch Gefahren in sich birgt.

Was können wir tun? Wir wollen doch unserem Vogel frische Luft, Sonne, Abwechslung, neue Eindrücke, das Fliegen, kurz - ein schönes Leben, ermöglichen. All dies ist ohne Frage wichtig für den Vogel, jedoch vergessen wir fast immer einen Punkt, der eine für die Psyche des Vogels sehr wichtige Rolle spielt: Der Vogel muss fähig und berechtigt sein, selbstständige Entscheidungen treffen zu können! Dieser Aspekt mag für manchen Leser neu erscheinen, wir gehen später explizit darauf ein. Schauen wir uns zunächst die anderen Punkte an:

Frische Luft und Sonne

Die optimale Unterbringung ist sicherlich in einer möglichst großen Außenvoliere mit Schutzraum. Dort kann unser Vogel Sonne, Wind und Regen genießen und er kann auch ein wenig fliegen oder sich in den Schutzraum zurückziehen. Er kann selbst wählen, was er wann tun möchte.
Wenn wir keine AV realisieren können und unser Vogel in der Wohnung lebt, dann stehen uns technische Möglichkeiten zur Verfügung, um z. B. die Luftqualität und -feuchtigkeit zu verbessern und ausreichend helle Beleuchtung einschließlich Sonnenspot mit UV-Strahlung zu schaffen.
Siehe hierzu den Artikel "Beleuchtung in der Vogelhaltung".
Auch ein vergittertes Fenster im Vogelzimmer, das viel und lange offen sein kann oder eine Fenstervoliere sind sinnvoll. Wenn ein Balkon vorhanden ist, lässt sich dieser evtl. vergittern und in eine Außenvoliere verwandeln.

Wie oft könnten Sie, realistisch betrachtet, dem Vogel durch Flug am Aviator frische Luft und Sonne gönnen? Beruflich bedingt wohl nur nach Feierabend und am Wochenende. Bei Regen, Sturm, Frost, usw. werden die Flüge oft ausfallen. Ein Ersatz für adäquate Unterbringung ist das auf keinen Fall!

Fliegen

"Vögel sind Tiere der Lüfte, sie müssen fliegen. um gesund zu bleiben." Solche oder ähnliche Äußerungen liest und hört man häufig. Sie entspringen allerdings mehr unserer Emotionalität als der Realität, vielleicht, weil wir mit der uns ohne technische Hilfsmittel nicht zugänglichen Bewegung im Luftraum die "große Freiheit" verbinden. Für Vögel ist das Fliegen normal und sie setzen es in erster Linie ein, um ihren normalen und notwendigen Verrichtungen nachgehen zu können, z. B. der Futtersuche oder auch zur Flucht (Vögel sind Beutetiere). Da ihre ganze Anatomie auf diese Fortbewegungsmöglichkeit abgestimmt ist, sollten sie natürlich fliegen, um ihre Muskeln zu trainieren und ihre Luftsäcke ordentlich zu durchlüften. Auch hier die gleiche Frage wie zuvor:: Wie oft könnten Sie, realistisch betrachtet, den Vogel am Aviator fliegen lassen?

Zum Fliegen sollte viel Platz zur Verfügung gestellt werden. Wir werden den Vogel möglicherweise zum Fliegen animieren müssen, denn sonst wird er sich fast nur dort aufhalten, wo es ihm am besten gefällt, was nicht selten in der Nähe des Halters ist. Mittels Training können wir ihm beibringen, auf Zuruf zu uns zu fliegen und dort auf einem geeigneten Sitzplatz zu warten, während wir an das andere Ende der Wohnung gehen, um ihn wieder zu uns zu rufen. So verschaffen wir ihm Bewegung, die ihn fit hält und ihm Spaß macht.

Wir können und sollten solche Flugübungen mit unserem Vogel täglich machen, was ja kein Problem sein dürfte, denn wir sind unabhängig von der Jahreszeit, Tageshelligkeit, Temperatur und vom Wetter. Auch können wir ein solches Flugtraining jederzeit einbauen, denn es bedarf keinerlei Vorbereitungen. Es ist nichts anderes als Rückruftraining und der Vogel macht es gern, denn er bekommt natürlich jedes Mal viel Lob und ein Leckerli, wenn er unserem Rückruf gefolgt ist. Das Rückruftraining kann auch sehr nützlich sein, falls der Vogel mal versehentlich entfliegen sollte, es erhöht enorm die Chance, ihn schnell wiederzubekommen.

Wenn die Möglichkeit besteht, ist auch eine große Halle, z. B. eine Turn-, Reit- oder Mehrzweckhalle, oder ein größerer Saal ideal. Dort kann der Vogel nach einer Eingewöhnungszeit an die neue Umgebung sehr gut, gefahrlos und auch stressfrei fliegen.

Abwechslung und neue Eindrücke

Viele Papageien lieben es, am Fenster zu sitzen und zu beobachten, was sich draußen abspielt. Die immer wieder neuen Eindrücke sind wichtig und der Vogel ist beschäftigt, sie aufzunehmen.

Voliere, Vogelzimmer, Freisitz können und müssen immer wieder mit neuem Spielzeug ausgestattet werden. Frische Äste sind bei allen Vögeln beliebt. Spielzeug muss nicht teuer sein, vieles lässt sich mit einfachen Mitteln und etwas Kreativität selbst herstellen.

Futterverstecke und -spielzeuge fordern und fördern die Intelligenz und Geschicklichkeit.

Training bietet dem Vogel hervorragende Abwechslung und schafft gleichzeitig ein gutes Vertrauensverhältnis zwischen Vogel und Halter, ohne dass der Vogel dabei zum penetranten Kuscheltier wird.

Jeder Vogelhalter sollte sich die Mühe machen und die Grundlagen des Trainings erlernen. Das Training auf Grundlage der angewandten Verhaltensanalyse (ABA) basiert auf freiwilliger Mitarbeit des Vogels. Er wird niemals zu etwas gezwungen und hat jederzeit die Wahl, ob er mitmachen möchte oder nicht. Dies leitet zum letzten Punkt über:

Fähigkeit und Berechtigung des Vogels,
Kontrolle über das eigene Handeln zu haben

"Fähigkeit und Berechtigung, die Ergebnisse des eigenen Handelns beeinflussen zu können, sind entscheidend für ein gesundes Verhalten. Verhalten ist ein Werkzeug, ein entwickelter Mechanismus, der Tiere in die Lage versetzt, ihre Umgebung in irgendeiner Weise zu ändern, wenn dies persönlichen Wert für sie hat. Forschungsarbeiten legen nahe, dass die Kontrolle über die Ergebnisse des eigenen Handelns auch mit dem emotionalen Wohlbefinden assoziiert ist, sogar bei Menschenbabys im Alter von nur drei Monaten."
(Susan G. Friedman, Ph.D., aus PARROT - Tiere verstehen dich. Siehe Fachartikel)

Dies heißt nichts anderes, als dass der Vogel auch das Recht hat, Nein zu sagen, wenn er etwas nicht möchte. Dieses Recht sollten wir immer beachten, denn wenn wir uns darüber hinwegsetzen, zwingen wir den Vogel zu etwas, das ihm unangenehm ist, vielleicht Furcht einflößt oder das er aus anderen Gründen nicht, oder in diesem Moment nicht, tun möchte. Jeder Zwang bedeutet eine Störung des Vertrauens, das der Vogel zu uns hat. Vögel sagen oft Nein, wir können es an ihrer Körpersprache erkennen. Beachten wir ihr einfaches Nein nicht, kann es sein, dass sie massiver Nein sagen, sprich: Beißen. Wir haben jedoch die Möglichkeit, das Verhalten des Vogels mit positiven Mitteln so zu beeinflussen, dass er manches freiwillig tut, was er anfangs nicht tun wollte. Wir lehren ihn neue Verhaltensweisen, die für ihn lohnend sind.

Was hat das mit dem Aviator zu tun?

Das Anziehen wird bei einem sehr jungen und/oder einem sehr zahmen Vögel mit entsprechendem Training und positiver Verstärkung gelingen. Nicht gelingen wird jedoch, dass er das Gurtzeug auch gern anhat.

Der Vogel geht nach einer Weile mit dem Schnabel an das Gurtzeug und will es bearbeiten, was er nicht darf und sich dafür eine Strafe vom Halter in Form eines "Lass das!", eines Wegschiebens des Schnabels, o.ä. einfängt. Der Vogel möchte einen aversiven Reiz, nämlich die Gurte an seinem Körper, loswerden und wird dafür bestraft.

Der Vogel sitzt an der kurzen Leine auf der Schulter, erschrickt und will flüchten, er kommt nicht weit, die Leine hält ihn zurück. Das natürliche Verhalten (Flüchten vor einer Gefahr) wird bestraft. Und der Vogel weiß genau, an wem die Leine befestigt ist! Dadurch, dass das natürliche Verhalten, die Flucht vor einer vermeintlichen oder tatsächlichen Gefahr, unterbunden wird, werden Geschirr und Leine zu einem starken aversiven Reiz, der sich auf den Halter übertragen kann. Das heißt, der Halter kann selbst zum aversiven Reiz für den Vogel werden, mit den entsprechenden Konsequenzen auch für den Halter: Vertrauensverlust, Angst, Aggressionen, usw. beim Vogel.

Der Vogel soll an der langen Leine fliegen, jetzt, sofort. Jeder Vogel schaut sich vor dem Losfliegen erst um, ob Greifvögel oder andere Gefahrenquellen da sind; schaut, wohin er fliegen will; vielleicht möchte er sich auch erst noch strecken, die Flügel schütteln vor dem Abflug. Aber nein, er darf es nicht, er wird einfach in die Luft geschoben und muss genau in dem Moment fliegen, den der Halter bestimmt. Er darf keine eigene Entscheidung treffen.

Der Vogel fliegt nun, möchte geradeaus, hat vielleicht schon einen geeigneten Landeplatz angepeilt, aber nein, das geht nicht, "etwas" zieht seitlich an ihm und zwingt ihn in eine Kurve. Er darf keine eigene Entscheidung treffen.

Der Vogel kann am Aviator in keinem Falle das Verhalten ausführen, das er möchte und das für ihn einen erwünschten Zweck erfüllt.

"Wenn Verhalten auf Dauer blockiert werden, können Tiere lernen, dass ihr Verhalten unwirksam ist. Dies führt zu emotionalen Problemen, Lernschwierigkeiten, erlernter Hilflosigkeit, Depression und sogar zu Immunsuppression." (Susan G. Friedman, Ph.D., aus PARROT - Tiere verstehen dich. Siehe Fachartikel)

Der Vogel und seine Befindlichkeiten stehen an erster Stelle und nicht die Wünsche des Halters - jedenfalls sollte es so sein!

Freiflug draußen ohne Leine

Wirklicher Freiflug draußen mit selbstständiger Rückkehr des Vogels nach Hause und/oder Rückkehr auf ein Signal zum Halter sowie die Fähigkeit des Vogels und des Halters, die "da draußen" lauernden Gefahren zu erkennen, richtig einzuschätzen und zu vermeiden, sind die "Hohe Schule" des Trainings.

Wir raten dringend davon ab, den Freiflug "einfach so" mal zu probieren, auch dann nicht, wenn der Vogel in einer geschützten Umgebung, z. B. in einer Halle, den Rückruf sicher beherrscht. Es kann einige Male gut gehen, es kann beim X-ten Mal schief gehen und der Vogel ist verloren. Wer sich wirklich für gut trainierten Freiflug interessiert, bei dem das Risiko, den Vogel zu verlieren, gering ist, der sollte sich intensiv mit Training befassen und sich von Fachleuten mit Freiflugerfahrung entsprechend ausbilden lassen.

 

Verfasser dieses Artikels: Dagmar Heidebluth, Ina Emser-Rinck, Jens Eberhardt, Lilo Pieth
Bilder: Bild 2: ©Peter Weinmann, alle anderen Bilder: ©Ina Emser-Rinck

Fliegen

Ara fliegt in der Außenvoliere
Ara fliegt in der Außenvoliere


Amazone fliegt in der Wohnung
Amazone fliegt in der Wohnung

 

Abwechslung

Ara im Grünen
Ob draußen...


Nymphensittich
...oder drinnen...


Ara
frisches Grün bietet Abwechslung und Beschäftigung


Kontrolle über das
eigene Handeln

Flug in der Außenvoliere
Fliegen in der Außenvoliere...


Ara fliegt in der AV
...wie und wann...


Ara fliegt in der AV
...können sie selbst entscheiden!

Anmerkung:

Diese Webseite steht dafür, den Papagei respektvoll zu behandeln und ihn zu selbstbestimmtem Handeln zu befähigen. Dazu gehört, dem Papagei die Freiheit zu geben, Nein zu sagen und dieses durch die Körper- und/oder Lautsprache angezeigte "nein, ich möchte nicht" zu respektieren anstatt ihn zu etwas zu zwingen.